Von der Nachhaltigkeit als kollektiver Charaktersache

„Das Megaprojekt ökologische Transformation braucht einen neuen Gesellschaftsvertrag.“ Nico Nusmeier, CEO der Schörghuber Unternehmensgruppe, ist überzeugt, dass der Moment dafür günstiger nicht sein könnte. Denn: „Erstmals überhaupt gibt es ein gesamtgesellschaftliches Einsehen in die Notwendigkeit von Klimaschutz und Ressourcenverantwortung.“ Sein Plädoyer für einen neuen Gesellschaftsvertrag „Von der Nachhaltigkeit als kollektive Charaktersache“ knüpft an seinen im Februar im Wirtschaftskurier erschienenen Namensbeitrag „Wohlstand ohne Wunden schaffen“ an.

In „Streit um Asterix“ wird das ganze Dilemma einer Führungskraft mittleren Alters sichtbar: Majestix fällt nicht weniger als sechs Mal vom Schild, weil die Kommunikation mit seinen Trägern nicht klappt. Das Leben dieser armen, namenlosen Teufel ist kein Zuckerschlecken: Der Dorfchef ist jähzornig, laut – und hält überhaupt Gewalt für das Mittel der Wahl bei Konflikten. Kein Wunder, dass er auch in Gender- und Nachhaltigkeitsfragen nicht gerade auf der Höhe der Zeit ist. Zu seinem Geburtstag nimmt er die immer gleichen Geschenke entgegen, die allesamt Ausdruck sinnbefreiten Überflusses sind – Schwerter und Schilde, Fische, Hinkelsteine. Selbstredend, dass Gutemines Bemühungen um eine bessere Ernährung ihres „Schnäuzelchens“ längst ins Leere gelaufen sind: Das Festessen am Ende der Geschichte besteht wieder einmal aus Fleisch – mit ein ganz klein wenig Wildschwein. Unter den Gesichtspunkten moderner, nachhaltiger Führung müssen wir feststellen: Die Führungskraft Majestix versagt auf ganzer Linie.
 

Das Megaprojekt ökologische Transformation braucht einen neuen Gesellschaftsvertrag

Die gute Nachricht für die Realität außerhalb des gallischen Dorfes lautet indes: Majestix ist ein Auslaufmodell. Denn: Jede vernünftige Führungskraft macht sich heute Gedanken über die Breitenwirkung des eigenen Handelns – ob es gerecht, sozial und nachhaltig ist. Dies ist nur zu begrüßen. Verantwortung wird auf diese Weise demokratisiert. So wie in einer Demokratie niemand über dem Gesetz steht, so steht auch niemand außerhalb der Verantwortung. Aber: Gerade die Verantwortung zur Nachhaltigkeit erfährt derzeit eine Aufladung, die der guten Sache schadet. Denn in unserer Gesellschaft bilden sich Communities aus, die sich teils harsch und feindselig voneinander abgrenzen. Für das Megaprojekt der ökologischen Transformation ist diese Abgrenzung schädlich. Wir können sie uns nicht leisten. Nötig ist vielmehr ein Miteinander im Zeichen der Nachhaltigkeit, das inklusiv ist statt exklusiv. Wir brauchen darüber einen Gesellschaftsvertrag, der die drei großen Felder abdeckt, auf denen wir unsere Zukunft über kurz oder lang verhandeln werden: Gesetzgebung, individuelles Commitment und technologisches Vermögen. Es geht um unser Müssen, unser Wollen, unser Können. Und zwar international. Deshalb: Es geht um Bill, Will und Skill.

Diese Neujustierung unseres kollektiven Bewusstseins ist eine epochale Veränderung. Wir überwinden damit nicht nur die „unzuständige Gesellschaft“ als das Damoklesschwert unserer Demokratie. Wir schaffen zudem die Grundlage für ein ökologisches Miteinander über alle gesellschaftliche Fragmentierung hinweg. Um die Chancen dieser Entwicklung zu nutzen, müssen wir den Gesellschaftsvertrag richtig aufsetzen – mit der ganzen Integrations- und Innovationskraft, die wir haben.

„Ich bin überzeugt: Wir sind reif für diesen Gesellschaftsvertrag, weil wir auch reif für eine neue Volonté Générale sind. Erstmals überhaupt gibt es ein gesamtgesellschaftliches Einsehen in die Notwendigkeit von Klimaschutz und Ressourcenverantwortung. Der übergroßen Mehrheit der Menschen gilt die Nachhaltigkeit als Pfad zum Gemeinwohl. Und vor allem: Es gibt eine breite Übereinstimmung darüber, dass individuelle Belange hinter der allgemeinen Wohlfahrt zurückzustehen haben – der Klimavertrag von Paris ist ein heller Widerschein dieser Übereinstimmung.“

Nico Nusmeier, CEO Schörghuber Unternehmensgruppe

Wir alle stehen in der Verantwortung

Fest steht: Unterzeichner des neuen Vertrags sind wir alle. Alle Gruppen, alle Bürgerinnen und Bürger. Und jeder einzelne muss wissen, was für sie oder ihn zu tun ist. Es verschränkt sich hier die Freiheit in Verantwortung mit der Gleichheit aller, was Rechte und Pflichten angeht. Dabei kommt – Stichwort „Bill“ als dem ersten Handlungsfeld des neuen Gesellschaftsvertrages – der Politik eine Schlüsselrolle zu, weil sie die Strukturen schafft für millionenfaches Individualhandeln. Diese Strukturen sind unverzichtbar. Sie machen mein persönliches Verantwortungshandeln überhaupt erst möglich. Konkret: Ich werde meinen Plastikkonsum nicht reduzieren können, wenn am Obststand nur Plastiktüten erhältlich sind. Oder: Mit meinem Smartphone unterstütze ich möglicherweise Raubbau an Mensch und Natur, weil die globalen Wertschöpfungsketten nicht so transparent sind, wie sie es sein sollten. Unsere Handlungen sind in ihrer Wirkung auf das Vielfältigste miteinander verknüpft. Hierfür braucht es einen verlässlichen Rahmen. Daher Ja zur Treiber- und Führungsrolle der Politik: zum Green Deal der EU-Kommission und zum neuen Europäischen Klimagesetz, zu den verschiedenen Nachhaltigkeitsgesetzen in Land und Bund, zu der Fülle an Maßnahmen, die zwischen Garmisch und Flensburg mittlerweile auf den Weg gebracht worden sind.

Die Politik ist allerdings nicht der einzige Player, der den Rahmen setzt: Das Bundesverfassungsgericht hat vor kurzem auf sehr eindrucksvolle Weise die Spielregeln definiert, nach denen der Rahmen zu funktionieren hat. Auslöser war eine Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung gewesen, die neben jungen Erwachsenen aus Deutschland auch Akteure aus Nepal und Bangladesch eingereicht hatten. Das Gericht hat daraufhin festgestellt, dass das Gesetz des Bundes in Teilen verfassungswidrig ist: Die Maßnahmen zur Treibhausgasminderung für die Zeit nach 2030 seien unzureichend beschrieben und somit die Grundrechte künftiger Generationen nicht genügend gewahrt. Das bedeutet nicht weniger als den Transfer der Verantwortungsethik Hans Jonas‘ in den realen klimapolitischen Fahrplan unseres Landes. Demnach endet unsere Verantwortung weder in unserer Zeit noch in unserem Raum. Sie erstreckt sich vielmehr auf den Menschen der Zukunft und den Menschen anderswo auf dem Planeten. Eine Mammutaufgabe, diesem Anspruch gerecht zu werden! Er ist aber nun, das ist das Revolutionäre des BVG-Beschlusses, als neue Handlungsgrundlage für den Klimaschutz in Deutschland formuliert worden. Jeder, der politisch Verantwortung trägt, ist gut beraten, sie anzuerkennen und einzutreten in den Wettbewerb um den besten Weg.

Für eine ökologische Transformation ohne ökonomische Kapitulation

Die Verantwortungsethik Hans Jonas‘ führt geradewegs zu einem weiteren Unterzeichner des neuen Gesellschaftsvertrages: zum Eigentümer. Wir neigen mit Blick auf den Eigentümer – und damit ja meistens auf uns selbst – allzu gerne zu selektiver Wahrnehmung. Dabei ist in Artikel 14 des Grundgesetzes nicht nur der Schutz des privaten Eigentums verankert. In Absatz 2 heißt es darüber hinaus unmissverständlich: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Diese Sozialbindung des Eigentums ist längst auch eine ökologische Bindung, weil die beiden Sphären untrennbar geworden sind. Im Klartext bedeutet sie für den Gartenbesitzer, dass er das Hornissennest im alten Apfelbaum in Ruhe lassen, und für den Unternehmer, dass er seine Produktionsmittel nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit einsetzen muss. Von beiden ist es keine nette Geste, dies zu tun. Es ist ihre Pflicht. Während der Gartenbesitzer jedoch seiner Pflicht bereits durch Unterlassen genügt, ist es für den Unternehmer nicht ganz so einfach. Denn für eine gewisse Übergangszeit werden die gewohnten Return-on-Investment-Zyklen möglicherweise nicht mehr funktionieren.

Die Früchte meiner Transformationsanstrengungen als Unternehmer werden zwar absehbar süß schmecken, aber es dauert, bis ich sie ernten kann. Im schlimmsten Fall sogar so lange, dass es mir – zumal in der Konkurrenz mit weniger reglementierten Wettbewerbern aus dem Ausland – an die Existenz geht. Daher ist auch hier die Politik im Sinne der „Bill“-Säule gefordert: Es braucht gezielt wirkende Instrumente zur Pufferung solcher Risiken, für eine ökologische Transformation ohne ökonomische Kapitulation.

Der geplante CO2-Grenzausgleich der EU ist, solange er nicht für klimaprotektionistische Maßnahmen der Mitgliedsländer missbraucht wird, ein Beispiel dafür. Und: Es braucht mittelfristig die Internationalisierung der Transformation, in den Industrie-, aber gerade auch in den Entwicklungsländern. Politische Bemühungen dazu gibt es – Gott sei Dank inzwischen auch wieder von Seiten der Vereinigten Staaten. Aber wir müssen den geistigen Turnaround noch besser schaffen. Wir müssen Umwelt und Klima ein für alle Mal als teure, weil kostbare Güter in unsere marktwirtschaftliche Vorstellungswelt überführen und der Natur einen gleichberechtigten Rang neben den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital einräumen.

Dieser Turnaround im Denken markiert den Übergang von der Bill zum Will. Ich bin überzeugt: Der Aufbruch ins postfossile Zeitalter wird uns nur gelingen, wenn wir auf die Pflicht die Kür setzen. Meint, echte Leidenschaft entwickeln – zumal für einen Transformationsprozess, der spannender und chancenreicher nicht sein könnte, weil er neue Arbeitsplätze und eine neue Lebensqualität bereithält.

Eine solche Leidenschaft muss freilich tiefer wurzeln, als Moden und Trends es tun. Sie muss die Grundfesten unserer alten Überzeugungen erreicht und produktiv erschüttert haben – egal, ob aus umweltethischen, umweltökonomischen oder sonstigen Überlegungen heraus. Nur ein intrinsischer Antrieb motiviert uns zur Kür, wo bisher die schwerfällige Tugend der Pflichterfüllung dominierte. Für die Schörghuber Unternehmensgruppe melde ich diesbezüglich mit Freude eine steigende Fieberkurve. Insbesondere unsere Kolleginnen und Kollegen in Chile legen eine Lust auf die Zukunft an den Tag, die ihresgleichen sucht. Innerhalb weniger Jahre haben sie den Unternehmensbereich Ventisqueros zu einem der Nachhaltigkeitspioniere in der Lachszucht gemacht. Mit der Marke Silverside haben sie sich auf die Pole Position beim Schlüsselkriterium der Futterfisch-Quote (Forage Fish Dependency Ratio) vorgearbeitet – weltweit, auch vor der Konkurrenz aus Norwegen. Heute taugt Ventisqueros zum Vorbild für unsere ganze Gruppe. Weil die Verantwortlichen sich aus innerer Motivation heraus für die Kür entschieden haben. Und weil sie eben genau so handeln: verantwortlich.

Transformation wird zu unserem Katapult in die Zukunft

Das Gute am Faktor „Will“ ist: Er ist schon die halbe Miete für den Faktor „Skill“. Die ökologische Transformation kann zum Woodstock der Innovation werden – wenn wir es nur ordentlich genug rocken lassen. Deutschland ist nach den USA und trotz der Aufholjagd Chinas immer noch Vizeweltmeister bei den Patenten: Fast 26.000 Neuanmeldungen im vergangenen Jahr. Insbesondere die Umwelttechnologien können in ihrer Bedeutung für die Innovationskraft unseres Landes gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Die GreenTech-Branche wächst seit Jahren. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt bereits bei 15 Prozent; mit ihren Produkten ist sie auf den internationalen Märkten gefragter denn je. „GreenTech made in Germany“ hat das Zeug dazu, das Auto als deutschen Exportschlager einmal abzulösen. Kurzum: Der Standstreifen muss für uns weiterhin Tabuzone bleiben, wenn es um die Innovationskraft in Deutschland und Europa geht. Stattdessen müssen wir die Transformation zu unserem Katapult in die Zukunft machen. Das wird sicherlich nicht leicht – aber mit einem intelligenten Dreiklang aus Bill, Will und Skill kann es uns gelingen.

Als Preis winkt nicht weniger als der nachhaltigste Wohlstand, den wir jemals in unserer Geschichte hatten. Ich sage: Das lohnt sich, beim Teutates!